
Flaggen der Europäischen Union wehen vor dem Berlaymont-Gebäude, dem Sitz der Europäischen Kommission, im belgischen Brüssel, 29. Januar 2025. (Xinhua/Meng Dingbo)
Im Laufe des Jahres 2025 haben Zölle Europas Wirtschaftslandschaft still und leise verändert. Was als externer Schock begann, hat die Handelsposition der Region stetig geschwächt und gleichzeitig interne Ungleichgewichte verstärkt.
BERLIN, 19. Dezember (Xinhua) -- An einem Morgen Mitte Oktober stellte der deutsche Landmaschinenhersteller Krone Group die Produktion von Großmaschinen für den US-Markt ein. Die hohen US-Zölle haben das Geschäft über den Atlantik hinweg zu kostspielig gemacht, und auch zum Jahresende gibt es kaum Anzeichen für eine Entspannung.
Das Unternehmen Krone, das seit einem Jahrhundert tätig ist, ist bei Weitem nicht der einzige europäische Hersteller, der die Belastung zu spüren bekommt.
Im Laufe des Jahres 2025 haben Zölle Europas Wirtschaftslandschaft still und leise verändert. Was als externer Schock begann, hat die Handelsposition der Region stetig geschwächt und gleichzeitig die internen Ungleichgewichte vergrößert.
ZUNEHMENDE WACHSTUMSUNTERSCHIEDE IN EUROPA
Die Dynamik der Eurozone schwächte sich nach einem verhaltenen Jahresbeginn ab, als die im Frühjahr eingeführten US-Zölle auf die verschiedenen Branchen und die Lieferketten übergriffen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stieg im ersten Quartal gegenüber den vorangegangenen drei Monaten um 0,6 Prozent, verlangsamte sich dann jedoch auf 0,1 Prozent im zweiten und 0,3 Prozent im dritten Quartal, was auf schwächere Handelsströme und zunehmende Unsicherheit zurückzuführen ist.
Am stärksten waren die Auswirkungen in den größten Volkswirtschaften der Europäischen Union (EU) zu spüren. Die deutsche Wirtschaft wird laut der Winterprognose der führenden Wirtschaftsinstitute des Landes im Jahr 2025 voraussichtlich nur um 0,1 Prozent wachsen, was unter den großen Industrienationen das schwächste Wachstum ist.
Die Wirtschaftsinstitute nennen die schwächelnden Exporte und die sinkende Wettbewerbsfähigkeit des verarbeitenden Gewerbes als Hauptgründe für das schwache Wachstum. Zu Beginn des Jahres 2025 hatten sie von Europas größter Volkswirtschaft noch ein Wachstum um 0,8 Prozent erwartet, doch nach der Bekanntgabe der Zollmaßnahmen in Washington revidierten die Institute ihre Prognosen drastisch.
Ein inländisches Konjunkturpaket hat die Stimmung noch nicht verbessert. Zum Jahresende vermeldete das ifo Institut, dass die Stimmung in den meisten Industriezweigen Deutschlands weiterhin negativ sei und die Unternehmen nach wie vor pessimistisch in die kommenden Monate sähen.
Frankreich und Italien zeigen ähnliche Muster, wobei das gedämpfte Wachstum die Gesamtleistung der Eurozone belastet. Im Gegensatz dazu entwickeln sich Süd- und Mittelosteuropa weiterhin stärker, wobei für Polen und Spanien ein Wachstum von 3,2 Prozent beziehungsweise 2,9 Prozent erwartet wird.
Polens Wachstum sei auf eine lockere Fiskalpolitik und umfangreiche öffentliche Investitionen zurückzuführen, heißt es in einem aktuellen Bericht der Beratungsgesellschaft EY, während Südeuropa von einem soliden Zustrom von Migranten und einer robusten Tourismussaison profitiert habe.
Die Europäische Kommission prognostiziert nun für 2025 ein Wirtschaftswachstum in der Eurozone von 1,3 Prozent. Diese Zahl deutet auf ein weiteres Jahr mit verhaltenem Wachstum hin, wobei die Ergebnisse zwischen den Mitgliedstaaten stark divergieren, da die vom Handel und vom verarbeitenden Gewerbe abhängigen Volkswirtschaften einen größeren Teil des Zollschocks absorbieren.
ZÖLLE VERSTÄRKEN VIELFÄLTIGEN WIRTSCHAFTLICHEN GEGENWIND
Die europäische Wirtschaft gehört zu den ersten, die den durch Zölle verursachten Druck zu spüren bekommen. Politische Entscheidungsträger, darunter die Europäische Zentralbank (EZB), warnen davor, dass globale Handelsstreitigkeiten und geopolitische Spannungen weiterhin wichtige Ursachen für Unsicherheiten seien, die das Wachstum belasten würden.
Die neuen US-Zölle auf Stahl, Aluminium und Autos haben die Margen in den Lieferketten geschmälert und die Wettbewerbsfähigkeit untergraben. Ein im Juli geschlossenes Handelsabkommen zwischen Washington und Brüssel hat einige Abgaben gelockert, aber auch ein höheres Zollniveau festgelegt, was Unternehmen dazu veranlasst hat, ihre Produktionsstandorte zu überdenken und Investitionen zu verzögern.
Im verarbeitenden Gewerbe, seit Langem ein Eckpfeiler der EU-Wirtschaft, sind die Anzeichen einer Stabilisierung nach wie vor fragil. Die schwache Auslandsnachfrage und das gedämpfte Vertrauen bremsen weiterhin jede Erholung, während energie- und kapitalintensive Branchen mit der doppelten Belastung durch hohe Energiekosten und zollbedingten Druck konfrontiert sind.
Der Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe in der Eurozone blieb im November im negativen Bereich. Der Produktionsindex fiel auf ein Neunmonatstief, was die anhaltende Schwäche des Sektors unterstreicht.
Makropolitische Beschränkungen erhöhen den Druck zusätzlich. Während sich die Gesamtinflation dank sinkender Energiekosten abgekühlt hat, bleibt die Kerninflation aufgrund von Löhnen, Dienstleistungspreisen und anhaltendem Kostendruck hartnäckig hoch.
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat zur Vorsicht gemahnt, und Analysten weisen darauf hin, dass die Inflation nahe dem Zielwert von zwei Prozent pendele, während das Wachstum weiterhin unter dem Potenzial liege. Unter Verweis auf tief verwurzelte strukturelle Beschränkungen geht die ING-Bank in ihrem jüngsten Bericht davon aus, dass die EZB 2026 keine Zinsänderungen vornehmen wird.
Darüber hinaus lassen hohe Staatsverschuldungen und konkurrierende politische Prioritäten vielen Regierungen nur begrenzten fiskalischen Spielraum, wodurch sich der politische Puffer der Union verringert.
STRUKTURELLE HERAUSFORDERUNGEN RÜCKEN IN DEN FOKUS
Ökonomen argumentieren, dass der Zollschock mehr bewirkt habe als nur die Unterdrückung der Exporte. Indem er die Hersteller dazu gezwungen habe, ihre Produktionsstrategien und langfristigen Pläne zu überdenken, habe er tiefere strukturelle Schwachstellen offenbart.
Diese Einschätzung deckt sich mit der umfassenderen Diagnose des ehemaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi in seinem Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit der EU, den die Staats- und Regierungschefs der EU im September geprüft haben. Draghi warnte, dass das Wachstumsmodell Europas „an Bedeutung verloren” habe und für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit nicht mehr ausreiche.
Analysten zufolge belasten die schwache politische Entschlossenheit und die hohen Kosten der Transformation weiterhin die Aussichten der Eurozone.
Carsten Brzeski, Chefvolkswirt bei ING, warnte, dass mehr als ein Jahr nach der Veröffentlichung des Draghi-Berichts konkrete Fortschritte bei dessen Kernempfehlungen, darunter eine tiefere Integration, weniger Regulierung und eine geringere Markt- und Finanzfragmentierung, weiterhin ausbleiben würden.
Die Einschränkungen sind in den Bereichen am deutlichsten, die für das langfristige Wachstum entscheidend sind und in denen die EU Schwierigkeiten hat, technologische Fortschritte in eine nachhaltige wirtschaftliche Dynamik umzusetzen.
Laut Experten wird die Entscheidungsfindung in den 27 Mitgliedstaaten der Union oft durch unterschiedliche nationale Prioritäten verlangsamt, was Investitionen und Bemühungen zur Förderung von Innovationen weiter dämpft.
Aus Daten von Eurostat geht hervor, dass die Ausgaben für Forschung und Entwicklung in der EU im Jahr 2024 nur 2,2 Prozent des BIP erreichten und damit kaum über dem Niveau von vor zehn Jahren lagen.
Hochrangige Beamte der Union warnten, dass Europa ohne bedeutende Reformen zur Innovationsförderung, zur Vereinfachung der Regulierungen und zur Weiterentwicklung von Fähigkeiten in Bereichen wie Künstlicher Intelligenz Gefahr läuft, weiter hinter die globalen Vorreiter zurückzufallen.
(gemäß der Nachrichtenagentur Xinhua)





