Hintergrund: Die Regierungspläne der Ampelkoalition in Deutschland

German.news.cn| 03-12-2021 14:42:48| 新華網
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BERLIN, 2. Dezember (Xinhua) -- Nach wochenlangen, intensiven Verhandlungen haben die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), die Grünen und die Freie Demokratische Partei (FDP) einen Koalitionsvertrag geschlossen, der nun noch von den Mitgliedern der Parteien gebilligt werden muss, bevor die nächste Regierung vereidigt werden kann.

"Wir wollen mehr Fortschritt wagen", sagte der designierte neue Kanzler Olaf Scholz von der SPD bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages in der vergangenen Woche.

Nachfolgend die Eckpunkte des Koalitionsvertrages, auf den sich die Spitzen der drei Parteien geeinigt haben, die in der Woche ab dem 6. Dezember zu ihrer ersten Regierungssitzung zusammenkommen werden.

ARBEITS- UND SOZIALPOLITIK

Der Mindestlohn soll auf 12 Euro pro Stunde angehoben werden, was vor allem die SPD im Wahlkampf zu einem zentralen Thema gemacht hatte. Die Renten sollen nicht gekürzt werden und das Renteneintrittsalter bleibt bei 67 Jahren.

Für den Bereich Wohnen sieht der Koalitionsvertrag die Gründung eines "Bündnisses bezahlbaren Wohnraums" mit allen wichtigen Akteuren vor.

In den Ballungsräumen, insbesondere in Berlin, verschärft sich die Wohnungsnot, und die Mieten werden immer teurer. Die Einwohner der deutschen Hauptstadt haben kürzlich in einem Volksentscheid für die Enteignung großer Wohnungsunternehmen zugunsten des sozialen Wohnungsbaus gestimmt.

1,5-GRAD-PFAD

Deutschlands nächste Regierung will bis 2030 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen erzeugen und damit das bisherige Ziel von 65 Prozent deutlich erhöhen. In der ersten Hälfte dieses Jahres stammte nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (Destatis) noch mehr als die Hälfte des gesamten Stroms aus konventionellen Quellen wie Kohle, Erdgas oder Kernenergie.

Der Atomausstieg soll wie geplant bis Ende nächsten Jahres umgesetzt werden. Der Ausstieg aus der Kohleenergie soll "idealerweise" bis 2030 erfolgen, acht Jahre früher als bisher geplant. Um die Lücke bis zur Versorgungssicherheit durch erneuerbare Energien zu überbrücken, sollen an bestehenden Kraftwerksstandorten auch Gaskraftwerke gebaut werden, die auf klimaneutrale Gase umgestellt werden können.

Mit der Gestaltung eines verlässlichen und kosteneffizienten Pfades zur Klimaneutralität bis spätestens 2045 will die nächste Bundesregierung "die Freiheit kommender Generationen" sichern. Als Reaktion auf ein Gerichtsurteil, das den Gesetzgeber verpflichtete, seine langfristigen Klimaziele bis Ende 2022 weiter zu konkretisieren, hatte die scheidende Regierung zuletzt bereits ein Klimagesetz verabschiedet, das das Ziel der Klimaneutralität vorantrieb.

Der Koalitionsvertrag sei ein "Dokument der Zuversicht", sagte Robert Habeck, Co-Chef der Grünen und designierter künftiger Vizekanzler sowie Minister für Wirtschaft, Energie und Klimaschutz. "Wir sind auf dem 1,5-Grad-Pfad mit diesem Koalitionsvertrag", sagte er.

ELEKTRIFIZIERUNG DES VERKEHRS

Mit mindestens 15 Millionen zugelassenen Elektroautos bis 2030 wollen die drei Koalitionsparteien Deutschland zum "Leitmarkt für Elektromobilität" machen. Bis dahin sollen auch eine Million öffentliche und frei zugängliche Ladepunkte für E-Autos geschaffen werden. "Wo wettbewerbliche Lösungen nicht greifen, werden wir mit Versorgungsauflagen, wo baulich möglich, die verlässliche Erreichbarkeit von Ladepunkten herstellen", heißt es im Koalitionsvertrag.

Größere Städte und Regionen, die noch nicht von Schnellzügen bedient werden, sollen an den Fernverkehr angeschlossen werden. Der grenzüberschreitende Schienenverkehr soll gestärkt werden.

Obwohl erwartet wurde, dass das für den Klimaschutz zentrale Verkehrsministerium an die Grünen gehen würde, wird Volker Wissing von der FDP dieses Ressort übernehmen. Während die Treibhausgasemissionen in anderen Sektoren wie der Energieerzeugung, dem verarbeitenden Gewerbe und der Abfallwirtschaft in den letzten Jahren gesunken sind, verursacht der Verkehrssektor weiterhin einen großen Teil der deutschen Emissionen.

SOLIDE FINANZIERUNG OHNE STEUERERHÖHUNGEN

Die Steuern sollen nicht erhöht werden. Dieser Punkt war der FDP ein besonderes Anliegen. Die effektive Steuerbelastung des Einkommens eines Durchschnittsverdieners in Deutschland lag im vergangenen Jahr bei 49,0 Prozent und damit mehr als 14 Prozent über dem Durchschnitt der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Das Steuersystem soll sowohl für Privatpersonen als auch für Unternehmen durch Digitalisierung und Bürokratieabbau vereinfacht werden.

Die sogenannte Schuldenbremse, nach der die Haushalte von Bund und Ländern grundsätzlich ohne Einnahmen aus der Kreditaufnahme ausgeglichen sein müssen, soll ab 2023 wieder eingehalten werden, nachdem sie wegen der COVID-19-Pandemie ausgesetzt worden war.

Im vergangenen Jahr schloss der Bundeshaushalt zum ersten Mal seit sieben Jahren mit einem Defizit ab. Die Nettokreditaufnahme erreichte mit 130,5 Milliarden Euro einen neuen Höchststand. Während die Steuereinnahmen sanken, stiegen die Ausgaben deutlich. Die Gesamtverschuldung der öffentlichen Hand erreichte so 2,25 Billionen Euro, was zu einer Pro-Kopf-Verschuldung von 27.090 Euro führte.

Deutschland bleibe der "Anwalt solider Finanzen", sagte der FDP-Vorsitzende und designierte Finanzminister Christian Lindner. Die Koalition werde "die breite Mitte entlasten, ohne dass es an anderer Stelle zu Belastungen kommt", fügte er hinzu.

KINDER UND JUGEND

Die Koalition plant die Einführung eines neuen Kindergeldes, in dem alle bisherigen staatlichen Leistungen für Kinder gebündelt werden sollen. Außerdem sollen die Rechte von Kindern im Grundgesetz verankert werden.

Das Wahlalter in Deutschland soll von 18 auf 16 Jahre gesenkt werden. Für die Wahlen zum Europaparlament könnte die Änderung sofort eingeführt werden, für die Bundestagswahl wäre eine Grundgesetzänderung notwendig, die eine Mehrheit jenseits der Dreierkoalition erfordert.

Der umstrittene Paragraph 219a des Strafgesetzbuches, der Ärzten das Werben für Abtreibungen verbietet, soll gestrichen werden. Die Möglichkeit eines kostenfreien Schwangerschaftsabbruchs gehöre zu einer verlässlichen Gesundheitsversorgung, heißt es im Koalitionsvertrag.

CANNABIS-LEGALISIERUNG

Die Koalitionsparteien wollen eine "kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften" einführen. Dadurch würden "die Qualität kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet". Gleichzeitig sollen die Vorschriften für Marketing und Sponsoring für Alkohol und Nikotin verschärft werden.

Es wird erwartet, dass die Trockenlegung des Schwarzmarktes für Cannabis erhebliche wirtschaftliche Vorteile für Deutschland mit sich bringt. So könnte die Legalisierung laut einer aktuellen Studie der Universität Düsseldorf mehr als 4,7 Milliarden Euro an zusätzlichen Steuereinnahmen und Sozialversicherungsbeiträgen sowie eine Senkung der Kosten durch weniger Strafverfolgungs- und Gerichtsprozesse bringen.

Laut einer Civey-Umfrage begrüßten 43 Prozent der Deutschen die geplante Legalisierung von Cannabis. Ebenso viele lehnten die Idee jedoch ab. Unterstützung kam vor allem von jüngeren Erwachsenen, während Ältere die Pläne eher ablehnten.

COVID-19-MANAGEMENT

Das COVID-19-Krisenmanagement der Regierung soll neu organisiert werden. Nach der Vereidigung des neuen Kabinetts soll sofort ein gemeinsamer Krisenstab unter der Leitung von Generalmajor Carsten Breuer eingerichtet werden, um die bundesweiten Gesundheitsmaßnahmen besser zu koordinieren und die Durchführung von Impfungen zu erleichtern.

Beim Bundesgesundheitsministerium soll ein interdisziplinärer Pandemierat eingerichtet werden. Angesichts dessen, dass Deutschland derzeit von der vierten COVID-19-Welle mit Rekordzahlen betroffen ist, sprach sich der künftige Bundeskanzler Scholz für eine Impfpflicht in bestimmten Einrichtungen mit Hochrisikogruppen aus und schloss eine Ausweitung dieser Regelung nicht aus.

Die SPD soll den nächsten Gesundheitsminister stellen, hat ihren Kandidaten aber noch nicht bekannt gegeben. Der klinische Epidemiologe Karl Lauterbach wird häufig als der geeignetste Kandidat für das Amt genannt. Er war eines der bekanntesten Gesichter während der Pandemie und wird auch aus Reihen anderer Parteien offen unterstützt.

(gemäß der Nachrichtenagentur Xinhua)

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